Komplementärmedizin – wenn sich Naturheilkunde und Schulmedizin die Hand reichen

Unser Immunsystem hat die Aufgabe, uns das ganze Jahr lang vor Krankheiten zu schützen
Im Herbst und Winter wird ihm diese Aufgabe durch trockene Heizungsluft und Temperaturschwankungen erschwert. Deshalb ist es jetzt besonders wichtig, aktiv an der Stärkung des Immunsystems zu arbeiten. Wie das geht? Ganz einfach: Eine ausgewogene, gesunde Ernährung, körperliche Bewegung und seelisches Wohlbefinden sind die drei wichtigsten Pfeiler dafür.

Die Wirkung wird wissenschaftlich untersucht
Auch in der Komplementärmedizin, also dem Zusammenwirken von Naturheilkunde und klassischer Therapien, spielt das Immunsystem eine wichtige Rolle. Lange Zeit wurden alternative Behandlungsmethoden wie Akupunktur, Homöopathie oder Traditionelle Chinesische Medizin von Vertretern der konservativen, evidenzbasierten Medizin nicht ernst genommen und als Scharlatanerie abgetan. Man weiß jedoch von vielen naturheilkundlichen Methoden, dass sie nicht nur für sich allein wirken können, sondern auch möglicherweise klassische Heilverfahren positiv unterstützen. An vielen Universitäten gibt es hierzu Studien oder Lehrstühle deren Forschungseinheiten sich der Komplementärmedizin widmen.

Schwerpunkt: Bessere Immunabwehr
Prof. Dr. Yvonne Samstag vom Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) ist Sprecherin des Konsortiums KIG BaWü und des Akademischen Zentrums für Komplementäre und Integrative Medizin (AZKIM). In der populären Interviewreihe „Medizin am Abend“ (einer Gemeinschaftsproduktion der Universität Heidelberg mit der Rhein-Neckar-Zeitung) hat sie kürzlich interessante Einblicke in das Projekt gegeben und über dessen aktuelle Forschungsergebnisse berichtet. Schwerpunkt des Projektes ist die Behandlung von Krankheiten, die mit der Immunabwehr des Körpers zusammenhängen: Also Infektionskrankheiten, chronisch-entzündliche Erkrankungen (z.B. rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn oder Schuppenflechte) und natürlich die Immuntherapie bei Krebserkrankungen. Zusätzlich wird chronischer Stress erforscht, weil dieser auf Umwegen auch das Immunsystem beeinflusst. In einer Pilotstudie wurde das Blut von Patienten mit chronischem Stress vor und nach Akupunktur untersucht und mit einer Kontrollgruppe verglichen. Im Interview für „Medizin am Abend“ erklärt Prof. Dr. Yvonne Samstag: „Im Blut kann man die Effekte auf das Immunsystem sehen. Wir haben Hinweise, dass Akupunktur bei chronischem Stress und bei Entzündungen im Körper sinnvoll sein kann.“
Die Heilkraft der Pflanzen
Dass auch pflanzliche Wirkstoffe klassische Therapien gut ergänzen können, weiß Prof. Dr. Yvonne Samstag. Im KIG BaWü hat eine Arbeitsgruppe einen Wirkstoff des Langen Pfeffers (Piper longum) untersucht. Langer Pfeffer ist die Urform des echten Pfeffers und wird u.a. in der ayurvedischen Heilkunde seit langem eingesetzt. „Wir haben praktisch mit unseren hochmodernen immunologischen Methoden, die wir heute zur Verfügung haben, untersucht, wie diese Substanzen aus dem Pfeffer auf unser Immunsystem wirken, erklärt die Professorin in diesem Audio-Beitrag. „Und auch da konnten wir zeigen, dass wir eine überschießende Immunreaktion, also einen pro entzündlichen Zustand, zurückversetzen konnten in einen balancierten Zustand“.
Die Selbstheilungskräfte des Körpers anregen
Auch für Farid Zitoun und Christian Rüger vom Naturheilzentrum Bottrop (NaBo) ist die komplementärmedizinische Therapie ein wichtiger Bestandteil ihrer täglichen Arbeit. Christian Rüger sieht die Naturheilkunde nicht nur als sinnvolle Ergänzung zur klassischen Schulmedizin: „Wir liefern daneben neue Therapieansätze und setzen dort an, wo andere an Grenzen stoßen.“ Sein Kollege Farid Zitoun ergänzt: „Wir wollen die Selbstheilungskräfte des Körpers anregen, um ein Maximum an Regenerationsfähigkeit zu erreichen!“
Auch bei Krebs positive Wirkung möglich
Wenn Patienten die Diagnose „Krebs“ bekommen, stehen sie erst einmal unter Schock. fast die Hälfte von ihnen verlässt sich nicht allein auf die konventionelle Krebstherapie, sondern setzt zur Unterstützung der Behandlung auch auf naturheilkundliche Verfahren. Christian Rüger vom NaBo weiß: „Die meisten Menschen wünschen sich zusätzlich zur schulmedizinischen Behandlung eine komplementärmedizinische, ganzheitliche oder auch sanftere Therapie. Häufig ist es sogar gerade die Kombination aus Naturheilkunde und Schulmedizin, die wirklich effektiv und zuverlässig helfen oder unterstützen kann“.

Und weiter: „Es gibt eine sehr hohe Evidenz dafür, dass verschiedene komplementärmedizinische Maßnahmen, wie z.B. die Akupunktur, sich sehr positiv auf die Lebensqualität von Krebspatienten auswirken können.“ Das bestätigt auch die erste „S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer Patienten“ für Therapeuten, die 2021 veröffentlicht wurde – S3 steht dabei in Sachen Verlässlichkeit und Expertise für den Leitlinien-Goldstandard. „Viele naturheilkundliche Verfahren können bei Krebspatienten und natürlich auch bei ihren Angehörigen erreichen, dass sich die Lebensqualität deutlich verbessert, wie die Erfahrung in der täglichen Praxis zeigt“, so Christian Rüger.
Im Blog Naturheilzentrum Bottrop gibt es einen lesenswerten Beitrag von Monika Frontzek dazu. Dort berichtet die Hirntumor-Patientin über ihre Erfahrung mit verschiedenen naturheilkundlichen Verfahren. Von Akupunktur bis zu Achtsamkeitsübungen, Bewegung und Yoga. Mit Energie und Kraft durch die Chemotherapie.
Akupunktur gegen Glaukom & Co.
Ein weiteres wichtiges Therapiefeld in der Bottroper Einrichtung für Naturheilverfahren sind Augenerkrankungen wie Glaukom und altersbedingte Makuladegeneration (AMD), die unbehandelt zu Blindheit führen können. Mit regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen beim Augenarzt können solche Erkrankungen oft rechtzeitig entdeckt werden. Auch hier kann eine komplementärmedizinische Behandlung die Schulmedizin zwar nicht ersetzen, aber sinnvoll ergänzen, erklärt Heilpraktiker Christian Rüger: „Therapiemöglichkeiten der Naturheilkunde wie etwa die Augenakupunktur oder die Behandlung mit Pflanzenextrakten zur Behandlung von Augenkrankheiten wurden bereits in vielen Studien beschrieben. Einige der Ergebnisse weisen dabei auf messbar positive Effekte hin“.